von JUANA REMUS
Am 17. Dezember 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die zum 1. Juni 2008 in Kraft getretene Regelung der behördlichen Vaterschaftsanfechtung (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB) verfassungswidrig und nichtig ist. Die behördliche Vaterschaftsanfechtung räumte erstmals dem Staat ein auf die missbräuchlichen Vaterschaftsanerkenntnisse gerichtetes Anfechtungsrecht ein. Mit der Nichtigerklärung setzt das Bundesverfassungsgericht einer Regelung ein Ende, die seit Verabschiedung des Gesetzes umstritten war und binationale Elternpaare, die nicht zusammen leben, unter Generalverdacht stellte.
Sozial-familiäre Beziehung kein zuverlässiger Indikator
Die Entscheidung wurde von Praktiker_innen, die im Familienrecht mit Auslandsbezug tätig sind, seit langem erwartet, untere Instanzen und Behörden setzen in Erwartung der Entscheidung ihre Verfahren aus. Gleich drei Gerichte (AG Hamburg-Altona, OLG Bremen und BGH) hatten die Norm dem Gericht zur Kontrolle vorgelegt, die Hamburger Vorlage zog nunmehr eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 6 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nach sich. Das Hauptargument des Bundesverfassungsgerichts: Die Voraussetzungen der behördlichen Anfechtung sind nicht geeignet, zwischen solchen Vaterschaftsanerkennungen zu unterscheiden, die ausschließlich zur Umgehung des Aufenthaltsrechts vorgenommen wurden und solchen, die aus weiteren Gründen rechtlich realisiert wurden.
Die Anfechtung durch eine Behörde setzte nach § 1600 Abs. 3 BGB voraus, dass 1. durch die Anerkennung aufenthaltsrechtliche Vorteile erlangt wurden – was auf alle binationalen oder ausländische Elternpaare zutrifft – und 2. das Nichtbestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen anerkanntem Vater und Kind. Dieses negative Tatbestandsmerkmal wird in § 1600 Abs. 4 Satz 1 BGB näher definiert, wonach eine sozial-familiäre Beziehung dann besteht, wenn der Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung in der Regel vorliegt, wenn der Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, § 1600 Abs. 4 Satz 2 BGB.
Eingang in das BGB fand das Kriterium der sozial-familiären Beziehung nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003, in der es befand, dass Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den biologischen Vater in seinem Interesse schützt, die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen – sofern eben keine sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater besteht. Es ging dem Bundesverfassungsgericht damals also um die Begrenzung der Rechte des biologischen Vaters, eine Regelung, die so auch vom EGMR als konventionskonform anerkannt wurde und vom Bundesverfassungsgericht jüngst bestätigt wurde.
Dass der Gesetzgeber 2008 selbiges Kriterium für die Anfechtung einer Behörde wählte, verwunderte die Fachliteratur, da der Kontext der Anfechtung und damit der verbundene Schutzbedarf des Kindes völlig verschiedene sind. Während bei der Anfechtung des biologischen Vaters die bestehende Vaterschaft des rechtlichen Vaters durch die des biologischen Vaters ersetzt wird, wenn die sozial-familiäre Beziehung nicht besteht, dient die Behördenanfechtung den aufenthaltsrechtlichen Interessen des Staates. Dies geschieht auf Kosten des Kindes, welches – wie das Bundesverfassungsgericht pointiert formuliert – „ersatzlos einen rechtlich vollwertigen Elternteil“ verliert. Dies verletze das Kind unverhältnismäßig in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
Staatsangehörigkeit als Lebenschance
Dass die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft an die rückwirkende Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit gekoppelt ist, führt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts zu einem Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hält dies für einen gravierenden Grundrechtseingriff, da mit dem Wegfall der Staatsangehörigkeit Lebenschancen des Kindes entschwinden, auf welche sich das Kind etwaig schon eingerichtet hat. Dies gelte umso mehr, wenn das Kind sich bereits in die deutsche Gesellschaft integriert habe, insbesondere durch Teilhabe am deutschen Bildungssystem. Auch seien die Kinder lediglich außenstehende Betroffene, die keinen Einfluss auf die Vaterschaftsanerkennung und den damit verbundenen Erwerb der Staatsangehörigkeit haben.
Belastungen durch behördliche und gerichtliche Ausforschungen
Einen weiteren Verstoß sah das Bundesverfassungsgericht durch tiefgreifende Ermittlungen und Ausforschungen in das Leben der Familie, wodurch unverhältnismäßig in Art. 6 Abs. 1 GG eingegriffen werde. Tatsächlich führten die sekundäre Beweislast des Kindes und des Vaters immer wieder zu grenzübersachreitenden Ermittlungen der Behörden und Gerichte.
In der Praxis bedeutete dies immer wieder hohe Anforderungen an die bestehenden Elternpaare. So konnten insbesondere Familien, die nicht durchschnittliche europäische (Klein-)Familienmodelle lebten, sofort in den Verdacht einer sogenannten Scheinvaterschaft kommen. Neben einem Nachweis der Unterhaltserbringung wurde regelmäßig die Häufigkeit des Kontakts zwischen Vater und Kind schematisch hinterfragt, die Unterbringung des Kindes beim Vater eruiert. Obwohl es sich auch bei solchen Fragestellungen um die Auslegung des Einzelfalles handelt, waren nicht alle Familiengerichte in der Lage, die Fragestellungen an die Religion, den kulturellen Hintergrund oder die finanzielle Ressourcen des Vaters anzupassen. So erscheint eine Frage zu Geschenken an Weihnachten bei Personen mit muslimischen Glauben wenig zielführend, ebenso sind in anderen Kulturkreisen Geschenke zum Namenstag üblicher als bei einer Geburtstagsfeier. Auch räumliche Distanzen zwischen Vater und Kind wurden nicht immer ausreichend berücksichtigt: dass Kenntnisse des Alltags nicht immer dieselbe Qualität haben, wenn die Personen nicht in derselben Stadt wohnen, drängte sich nicht allen Gerichte auf. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt die Brisanz und meint, die behördlichen und gerichtlichen Nachforschungen könnten zu einer unnötigen Belastung des Familienlebens führen, weswegen eine präzisere Fassung der behördliche Vaterschaftsanerkennung verfassungsrechtlich geboten sei.
Vaterwerden – zu leicht gemacht?
Dabei verkennt das Bundesverfassungsgericht nicht, dass ein Kernproblem in der voraussetzungslosen Vaterschaftsanerkennung gemäß § 1592 Nr. 2 BGB liegt. Während sogar verpartnerte homosexuelle Paare eine Prüfung des Kindeswohls über sich ergehen lassen müssen, damit der_die Lebenspartner_in rechtliches Elternteil des gemeinsam versorgten und erzogenen Kindes wird, darf ein Mann die Vaterschaft mit der Zustimmung der Mutter jederzeit anerkennen. Wenn der Gesetzgeber dem unehelichen Kind einen rechtlichen (männlichen) Elternteil ohne weitere Voraussetzungen zur Verfügung stellt, dann muss er das Kind aber davor schützen, das ihm dieses Elternteil genommen wird, weil die gelebte Familie bestimmten Normen nicht entspricht. Überhaupt: dass sich das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung des behördlichen Anfechtungsrechtes konsequent auf die Ebene des Kindes begibt und deren Rechte und Abhängigkeiten von anderen Akteur_innen im Blick hat, ist die große Stärke dieser Entscheidung.
Juana Remus ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte, Berlin.