Von STEPHAN GERBIG
Das Lebensalter ist in der Europäischen Grundrechtecharta und in einigen Menschenrechtsverträgen explizit als ein unzulässiges Diskriminierungsmerkmal normiert. Nicht aber im Grundgesetz – das Lebensalter taucht nicht im Katalog der unzulässigen Diskriminierungsmerkmale in Art. 3 III GG auf. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen hat kürzlich eine entsprechende Erweiterung des Art. 3 III GG um das Diskriminierungsmerkmal „Lebensalter“ gefordert und damit rechtzeitig zu Beginn einer neuen Legislaturperiode – und vor Verabschiedung eines Koalitionsvertrages – eine bedeutsame Forderung auf der rechtspolitischen Agenda platziert. Die Forderung ist menschenrechtlich klar zu begrüßen, auch aus kinderrechtlicher Perspektive.
Die Debatten um eine Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, eine mögliche Umbenennung des Diskriminierungsmerkmals „Rasse“ in Art. 3 III GG sowie die Aufnahme der geschlechtlichen und sexuellen Identität als Diskriminierungsmerkmale i.S.d. Art. 3 III GG werden sicherlich auch die neue Legislaturperiode begleiten. In dem Zuge sollte jedoch auch eine Erweiterung des Art. 3 III GG um das „Lebensalter“ mitberücksichtigt werden.
Verfassungsrechtlich dürfte unstrittig sein, dass es Merkmale gibt, die zwar nicht im Katalog der unzulässigen Diskriminierungsmerkmale in Art. 3 III GG explizit genannt werden – die aber faktisch dort hineingelesen werden sollten. Gerade im Hinblick auf Diskriminierungen aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Identität wendet das BVerfG einen solchen Kunstgriff an; normativer Bezugsrahmen ist hier Art. 3 I GG. Diese methodische Vorgehensweise hat ihre Berechtigung, führt aber nicht dazu, dass die „ungeschriebenen“ Diskriminierungsmerkmale den geschriebenen Diskriminierungsmerkmalen umfassend gleichgestellt sind. Die fehlende Sichtbarkeit – im Lichte der Funktion des Grundgesetzes als „objektive Werteordnung“ ein besonders bedeutsamer Gesichtspunkt – wird hierdurch nicht kompensiert, und zudem bleiben bei solchen Rechtsanwendungen und -auslegungen zwischen Art. 3 I und Art. 3 III GG Abstände hinsichtlich der unterschiedlichen Rechtfertigungsmaßstäbe bestehen, die letztlich nur eine Verfassungsänderung überwinden kann.
Weder Art. 3 I GG, noch das AGG sind genug
Das Bundesverfassungsgericht passt die normative Bedeutung des Art. 3 I GG in einigen Konstellationen an die normative Bedeutung des Art. 3 III GG an – nämlich dann, wenn personenbezogene Unterscheidungsmerkmale sich den Merkmalen in Art. 3 III GG annähern. Das ist gerade bei „unveränderlichen“ Merkmalen, wie etwa dem Lebensalter, der Fall. Damit ist die Konsequenz verbunden, dass deutlich strengere Anforderungen an die Maßstäbe für die Rechtfertigung etwaiger Ungleichbehandlungen anzulegen sind. Indes wird damit nicht exakt jene privilegierende normative Wirkung erreicht, die eine explizite Normierung eines unzulässigen Diskriminierungsmerkmals durch den Verfassungsgeber auslöst.
Natürlich darf man, wenn man über Altersdiskriminierung spricht, auch das AGG nicht außer Betracht lassen. Mit § 2 AGG gibt es ein einfachgesetzlich normiertes Altersdiskriminierungsverbot. Dieses Altersdiskriminierungsverbot ist jedoch durch § 10 AGG im Beschäftigungskontext Relativierungen ausgesetzt, zudem ist der Anwendungsbereich des AGG nicht unbegrenzt – eine Verankerung in Art. 3 III GG würde demgegenüber auch auf weitere privatrechtliche Kontexte jenseits des AGG jedenfalls eine mittelbare Drittwirkung begründen. Zudem ist entscheidend, dass Altersdiskriminierung keinesfalls nur die privatrechtliche Rechtsphäre betrifft: Auch in unmittelbar staatlichen Kontexten existieren sehr viele Altersgrenzen, beispielsweise beim Bezug sozialer Leistungen, im öffentlichen Dienstrecht oder bei der Frage nach dem anwendbaren Rechtsfolgenregime im Strafrecht. Eine Verankerung des Altersdiskriminierungsverbots in Art. 3 III GG hätte zur Folge, dass alle gesetzlichen Altersgrenzen – abgesehen von jenen, die im Grundgesetz selbst verbrieft sind – einer kritischen diskriminierungssensiblen Prüfung unterzogen werden müssten. Damit wären weitreichende Auswirkungen verbunden: Denn regelmäßig bestehen normative Altersgrenzen auf stereotypen Vorstellungen und entsprechenden Zuschreibungen – insbesondere im Hinblick darauf, was junge Menschen vermeintlich noch nicht und was ältere Menschen vermeintlich nicht mehr leisten können. Das Alter wird dabei oft zu einem entscheidungserheblichen Differenzierungskriterium erhoben, weil andere (eigentlich vorrangige) Differenzierungskriterien – wie die individuelle Reife oder die individuelle körperliche Belastungsfähigkeit – schwerer zu ermitteln sind. Es ist fraglich, ob alle bestehenden normativen Altersgrenzen einer umfassenden verfassungsrechtlichen Prüfung Stand halten würden. Im menschenrechtlichen Diskurs gelten Regelungen, die starr an Altersgrenzen anknüpfen, ohnehin als bedenklich.
Internationale Perspektiven zum Lebensalter: Die UN-Kinderrechtskonvention
Das Recht eines Kindes auf Nicht-Diskriminierung (Art. 2 UN-KRK) zählt zu den vier Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention. Es erschöpft sich nicht in einem Schutz vor altersbezogener Diskriminierung – gleichzeitig ist die gesamte UN-Kinderrechtskonvention aber letztlich ein menschenrechtliches Instrument gegen altersspezifische Diskriminierungen von jungen Menschen unter 18 Jahren. Auch vor diesem Hintergrund wurde die Forderung nach einer Erweiterung des Art. 3 III GG um das Merkmal „Lebensalter“ bereits in kinderrechtlichen Kontexten erhoben.
Bei der Debatte um eine mögliche Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz in der letzten Legislaturperiode hatte dieser Gesichtspunkt jedoch keine Rolle gespielt – weder der Abschlussbericht der eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe, noch die eingebrachten Gesetzesentwürfe (1, 2, 3) sahen eine entsprechende Änderung vor.
Für einen wirksamen Schutz der Rechte von Kindern ist die Verankerung eines Altersdiskriminierungsverbots im Grundgesetz eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung: Ein solches würde die gleichzeitige Verankerung grundgesetzlicher Äquivalente (vgl. Rn. 10) zum Recht eines Kindes auf vorrangige Berücksichtigung seiner Interessen (vgl. Art. 3 I UN-KRK) und zum Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Ansichten eines Kindes (vgl. Art. 12 I UN-KRK) nicht entbehrlich machen, könnte entsprechende Regelungen aber deutlich flankieren.
Internationale Perspektiven zum Lebensalter: Ein möglicher neuer Vertrag für die Rechte älterer Menschen
Ein menschenrechtliches Äquivalent zur UN-Kinderrechtskonvention für ältere Menschen besteht bisher noch nicht, befindet sich aber in der Ausarbeitung: Bereits 2010 hat die UN-Generalversammlung eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Auftrag hat, im Hinblick auf die Rechte von älteren Menschen Lücken im internationalen Menschenrechtsschutz zu identifizieren, und die mittlerweile dazu mandatiert wurde, Entwürfe für einen verbindlichen Menschenrechtsvertrag für die Rechte älterer Menschen zu erarbeiten. Der entsprechende Prozess läuft, ein genaues Ende ist noch nicht absehbar (es handelt sich um eine „open ended“ Arbeitsgruppe), aber die zentralen Erkenntnisse, die dem Mandat der Arbeitsgruppe zugrunde liegen, lassen sich auch auf die Debatte um eine mögliche Erweiterung des Art. 3 III GG übertragen: Um einen bestmöglichen Schutz für die Rechte älterer Menschen zu garantieren, müssen entsprechende Rechte klar normiert und sichtbar sein. In diesem Sinne wurde auch innerhalb der Arbeitsgruppe bereits problematisiert, dass in den nationalen Verfassungsordnungen zwar häufig allgemeine Gleichheitsrechte, aber nur selten explizite Altersdiskriminierungsverbote normiert sind. Perspektivisch ist insofern absehbar, dass die Forderung nach einem Altersdiskriminierungsverbot im Grundgesetz auch von internationalen Menschenrechtsgremien und -mechanismen gegenüber Deutschland erhoben werden könnte.
Ausblick
Die Verankerung eines Altersdiskriminierungsverbotes im Grundgesetz drängt sich aus einer internationalen Perspektive insofern durchaus auf. Zugleich darf man nicht der Annahme unterliegen, dass die international verbrieften (Alters-)Diskriminierungsverbote bereits ausreichend seien und eine Grundgesetzänderung entbehrlich machen würden: Die entsprechenden Diskriminierungsverbote haben, wie etwa Art. 21 GRC, entweder einen beschränkten Anwendungsbereich (vgl. Art. 51 GRC), oder sind nicht explizit altersspezifisch (das Alter muss insofern als ein „sonstiger Status“ in die entsprechende Norm gelesen werden) und zudem als rein akzessorische Rechte ausgestaltet, die nur bei gleichzeitiger Beeinträchtigung eines anderen Menschenrechts greifen (vgl. bspw. Art. 14 EMRK oder Art. 2 UN-Zivilpakt). Damit ist zugleich auch klar, dass eine Verankerung eines Altersdiskriminierungsverbots im Grundgesetz auch keine bloße Symbolpolitik wäre – denn die Diskriminierungsverbote in Art. 3 III GG gelten umfassend, nicht bloß akzessorisch. Eine Verfassungsänderung würde insofern nicht nur bestehende menschenrechtliche Verpflichtungen flankieren, sondern zugleich auch im Mehrebenensystem (noch) bestehende Lücken füllen.
Gerbig, Stephan, Alt und jung, mit starken Rechten – im Grundgesetz?, JuWissBlog Nr. 94/2021 v. 28.10.2021, https://www.juwiss.de/94-2021/.
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